Chopin Nocturne

Yacine Khorchi
Yacine Khorchi

Gründer und Klavierlehrer

Letzte Aktualisierung: 21.03.2024

Bedeutung des Begriffs “Nocturne”

Der Begriff Nocturne stammt aus dem Lateinischen. Ursprünglich bezeichnet „Nocturno“ oder auch “Notturno” Musik, die nachts im Freien gespielt wurde. Häufig wurde es als Abendstückchen freischaffender Musiker gespielt, die von Stadt zu Stadt zogen, um durch kleine finanzielle Zuwendungen ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie gehört zusammen mit der Serenade, dem Divertimento und der Cassation zur Unterhaltungsmusik des 18. und 19. Jahrhunderts. 

Frédéric Chopin (1810 - 1849) ist neben all seinen anderen Werken besonders für seine „Chopin Nocturnes“ bekannt. Er komponierte über sein Leben hinweg insgesamt 21 Nocturnes innerhalb von knapp 20 Jahren, aus denen sich bis heute ein wunderbares Repertoire von Vorspielstücken ergibt. Chopin übertrug die  Ausdrucksmöglichkeiten des menschlichen Kunstgesanges, speziell der Oper, direkt auf das Klavier. Nocturnes verfügen über einen äußerst intimen, träumerischen und stillen Charakter. Dieses Genre gehört eindeutig dem wesentlichen Charakter der Romantik an.

Möchtest du mehr über das fesselnde Zeitalter der Romantik wissen? In unserem Beitrag Romantik Musik erfährst du alles über die schwärmerische Epoche und ihre Auswirkung auf die Musikgeschichte.

Schwierigkeitsgrad der Chopin Nocturnes

Der Schwierigkeitsgrad der Nocturnes ist recht ähnlich. Die meisten sind von fortgeschrittenen Anfängern gut spielbar, wobei einige ein noch fortgeschritteneres Spielniveau abverlangen.

Die durchschnittliche Dauer beträgt 5 min, wobei das kürzeste Stück (Op. Posthum in C-Moll) knappe 3 min und sein längstes (Op. 62 No.1 in B-Dur) 07:36 min lang ist.

Auch Doppelgriffe und Polyphonie bleiben nicht aus, welche für einige Pianisten sehr herausfordernd sein können. Klanglich braucht es eine ausgefeilte Sensibilität in den Fingern und Anschlagskontrolle. Zudem solltest du „frei“ spielen können, im Sinne von nicht lediglich auf exakter Zählzeit die Töne anschlagen, da sich Nocturnes nach dieser Freiheit im Tempo und in der Dynamik sehen. Tempobieger, wie Triolen und ausdrucksstarke Triller sind hier absolute Routine. Ein weicher Ansatz und Feingefühl ist für das Spielen von Chopin Nocturnes existenziell. 

Chopins Nocturnes: eine musikalische Analyse

Die Grenzen verschiedener Gattungen verschwimmen in der Nocturne. Klassische, romantische und impressionistische Komponenten treffen aufeinander und vereinen klare Ordnungen mit schwebender Freiheit.

Die elegisch schmerzerfüllte Nachtstimmung ist stets durch ihren melancholischen Charakter erkennbar, welche der Verwendung fließender Melodien mit sensiblen Anschlagtechniken zu verdanken ist. Sie ist von einer kantablen, expressiven Melodiebildung geprägt, die in trägen Tönen ausschwingt. 

Sehr typisch für Chopins Nocturnes sind folgende Merkmale:

Aufbau der Chopin Nocturnes

Chopin macht in jedem seiner Nocturnes von einem verschnörkelten ABA-Aufbau Gebrauch. Dieser ist eigentlich sehr einfach konzipiert, quasi Einfachheit in komplizierter Ausgabe.

Die ternäre Form besteht für gewöhnlich aus einem Hauptteil (A) mit der eigentlichen Melodie des jeweiligen Stücks, einem kontrastierenden Mittelteil (B) und einer Rückkehr zum Hauptteil (A), die Chopin häufig mit flotten Tonleitern oder leicht von A ausschweifenden musikalischen Formalia ausschmückt. Häufig finden im Mittelteil (B) Takt- beziehungsweise Tonartwechsel statt und ein dramatisch und schneller verlaufendes Tempo als im A-Teil wird genutzt. 

Jedes der Teile ermöglicht ein tiefes Versinken in der vermittelten Stimmungslage.

Nocturne Stimmung

Die Vielfalt an Stimmungen und emotionalen Zuständen wird in einer musikalischen Gattung wie der Nocturne, die scheinbar mit einem bestimmten Gefühlszustand verbunden ist, sichtbar. Im Grunde beschreibt jede der zwanzig Chopin Nocturnes eine andere Stimmung, ganz zu schweigen von den Wandlungen und Entwicklungen innerhalb der Stücke selbst. 

Neben der Stimmung entwickeln sich fortwährend die Dynamik und der unbefangene Rhythmus, was für Freiheit und einkehrenden Frieden zwischen all dem Schwermut sorgt. Eine Schwerfälligkeit ist sogar in Chopins Kompositionn selbst dann erkennbar, wenn ein heiterer Charakter auftritt.

Bsp: Besonders im Mittelteil Nocturne in Fis-Dur Op. 15 No. 2 durch eine große Bandbreite von Tönen in der begleitenden linken Hand und auch der rechten, die sich quasi selbst begleitet. Hier werden diatonische Spannungen erzeugt, die eine Dramatik hervorrufen.

Die Begleitung von Chopin Nocturnes

Aus der kunstvollen Begleitung bildet sich oftmals eine Mehrstimmigkeit heraus. In einigen der Nocturnes spielt die linke Hand einen „Walking Bass“. Chopin nutzt in seinen Kompositionen durchaus ungewöhnliche Griffe, welche bis zu 4 Fingern auf einmal beanspruchen. Nicht nur, dass sie sonderbar klingen, sondern ebenso ungewohnt ist es, sie auf der Klaviatur zu greifen. 

Auch die verzierenden Triller und die flinken Tonleitern nach oben tragen zu einer erhöhten Komplexität bei. Insgesamt werden Nocturnes durch ein hohes Ausmaß an Verzierungen charakterisiert und sind äußerte edle Stücke. Man könnte meinen, jede Chopin Nocturne wäre „die Ruhe vor dem Sturm“. Ein kurzes Auflösen der Spannung, bevor sie wiederkehrt.

Chopins Kompositionsmuster

Seine berühmteste Komposition ist vermutlich Op. 9 No. 2 in Es-Dur.

Seinen bekanntesten Nocturnes gehören sogar zwei an, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden, und zwar jene in E-Moll (Op. posth. 72) und die Nocturne in Cis-Moll Op. posth.

Op. 9 No. 2 in Es-Dur

  • Walzerartig durch den Rhythmus der Begleitung

  • Ausschmückende Triller

  • Keine abrupten Tonwechsel, in sich stimmig

  • Leichte Spannung durch Griffe bei 01:30

  • Ab 01:35 leicht abgewandelter A-Teil (mit veränderter absteigender Tonleiter) und rhythmisch versetztem Anschlag um wenige Augenblicke in 02:12

  • Weiche und edle Melodie

  • Ab 03:08 veränderte, neue Melodie Muster und erneut abgewandelte Tonleiter (chromatischer Charakter)

  • In 03:35 Wiederholung des B-Teil: Rechte Hand spielt alles in Oktavsprüngen, schlägt also gleichzeitig zwei Oktaven an    

Cis-Moll Op. posth. 

  • Triller sehr signifikant für den spannenden Charakter des Stücks

  • Abwärts eilende Tonleiter

  • Gebrochene Dreiklänge in der linken Hand im Hauptthema

  • B-Teil: Heile Welt bei 01:32 schlägt in eine kühle Stimmung um (ab 01:45)

  • Bei 01:57 wird eine „Frage gestellt“ und direkt „beantwortet“

  • 02:09: Rhythmische Änderung der linken Hand durch schnelleres Satztempo, wobei der Schlag auf Zählzeit 1 und 3 prägnant ist

  • Ritardando und gebrochene Dreiklänge der rechten Hand auf rechter Seite der Klaviatur leiten in den letzten Teil ein

  • Wiederholung des A-Teils mit leichter Abwandlung durch Tonleiter

  • 03:29: Erste von mehreren zirkulierenden Tonleitern flink auf und ab, wie ein Windhauch

  • Friedlicher Abschluss in Cis-Dur   

F- Moll Op. 55 No. 1

  • Langsam fortschreitende Melancholie

  • Häufige Wiederholung des ruhigen Themas

  • Befangenheit in einer Traumwelt

  • Sprünge der linken Hand; Sie macht Gebrauch von nur 4 Akkorden im Hauptthema, auf die sich die Melodie stützt (F-Moll, Es-Dur, As-Dur, C7)

  • Unisono Piú Mosso (=etwas schneller) und Steigerung der Dynamik mit Zwischenspiel, der nicht unisono gespielt wird (Responsorial angehaucht) ab 03:12

  • Erleichterung ab 03:33 mit verbleibender Schwerfälligkeit; schwebende linke Hand im legato

  • Verschnörkelte Abwärtstonleiter und kurzes Zwischenspiel leitet erneut zum Hauptthema zurück, das leicht abgewandelt ist. Rechte Hand spielt Achtel um die Melodie herum und nimmt in ihrem Tempo immer mehr zu (ab 04:35)

  • Idyllisches unbefangenes Ende in F-Dur mit mehrmaligem Anspielen des Akkords mit einem Arpeggio (=Nacheinander erklingende Noten innerhalb sehr kurzer Abstände, um einen Triller-ähnlichen Klang zu erzeugen)

Nocturne in G. Moll Op. 15 No. 3

  • Großes Durcheinander, Verwirrung durch besonderen Rhythmus: Auftakt und stetige leichte Verschiebung der Zählzeit

  • Höchst dramatischer chromatischer Abstieg nach dem Aufstieg (ab 01:38)

  • Majestätisch ab 02:40 (Sehr starker Stimmungswechsel)

Cis-Moll Op. 27 No. 1

  • Sehr düster und geheimnisvoll

  • Ständiges Suchen und Finden

  • Auflösen der Spannung und erneutes Intensivieren

  • Fortwährende Auf- und Abbewegung der linken Hand

  • Schnelle Chromatik der linken Hand → „Wirbel“ ab 02:14

  • Sehr plötzliche Vergrößerung des Ambitus (02:25)

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